„Innocence“: Ein Hochzeitsfest wird zum
fesselnden Psychothriller

 

premiere

Eine Hochzeitsfeier verwandelt sich in einen packenden Psychothriller, in dem die dunkle Vergangenheit die Gegenwart einholt

„Ich gehöre zu einer Generation, die mit den Themen dieser Oper aufgewachsen ist, insbesondere mit der Thematik des Amoklaufs – sowohl in den Nachrichten als auch in Filmen wie Michael Moores „Bowling for Columbine“ oder Gus Van Sants „Elephant“. Die Oper von Saariaho berührt einen auch deshalb unmittelbar, weil Musik über die Sprache hinausgeht, mit dem Unbewussten und dem Unterbewusstsein in Verbindung treten kann und den Zugang zu dem Bereich ermöglicht, der außerhalb der Realität liegt, in dem sich traumatisierte Menschen wiederfinden können. Denn ein Trauma ist etwas, das wir alle in uns selbst vergraben.“ (Maxime Pascal, Musikalische Leitung)

Die Klänge von Kaija Saariaho haben eine Qualität und einen poetischen Reichtum, von denen eine bildhafte, atmosphärische und metaphorische Kraft ausgeht, die sehr inspirierend ist und niemanden kalt lässt.“ (Lorenzo Fioroni, Regie)

Stela feiert mit ihrem Bräutigam Tuomas, den sie in ihrem Heimatland Rumänien kennengelernt hat, in Helsinki Hochzeit. Dabei sind die Eltern von Tuomas und ein Priester. Sie ist glücklich und fragt nicht, warum so wenige Gäste da sind. Doch die Kellnerin Tereza, die beim Hochzeits-Catering aushilft, deutet an, dass es etwas gibt, das Stela nicht weiß – dass Tuomas einen Bruder hat.

Zehn Jahre vorher hat ein Amoklauf an einer internationalen Schule in Finnland Mitschüler*innen, Eltern und Lehrer*innen fassungslos und traumatisiert zurückgelassen. Der minderjährige Täter wurde in die Psychiatrie eingewiesen.

Die in der realen Welt agierenden Personen können diese tragischen Ereignisse nun nicht weiter verdrängen, die ausgesperrte Zwischenwelt dringt unweigerlich in die Realität ein und zwingt die Protagonist*innen dazu, sich während der Hochzeitsfeier der Wahrheit zu stellen. Tereza hört, wie ihre beim Attentat ums Leben gekommene Tochter Markéta uralte Klagelieder anstimmt, die direkt aus Tuonela, dem Totenreich der finnischen Mythologie, zu kommen scheinen.

Regisseur Lorenzo Fioroni lässt die Handlung auf zwei Ebenen ablaufen – jene der realen Hochzeit und jene einer Zwischenwelt, in der sich Opfer und Überlebende begegnen.

„Wir haben uns entschieden, dem quasi realistischen Setting eines gedeckten Hochzeitstisches eine abstrakt-surrealistische Schneelandschaft entgegenzusetzen, die das Innere der Figuren sichtbar macht: Alles ist erstarrt, eingefroren, zugedeckt und erst allmählich werden Schicht für Schicht Erinnerungen, Ängste, die durch den Amoklauf geschlagenen Wunden offengelegt. So wie auch in der Geschichte die Schuldverstrickungen der Figuren und das Netz der Beziehungen zueinander erst nach und nach sichtbar werden.“ (Lorenzo Fioroni, Regie)

Zur Entstehung und Uraufführung

2012 erhielt die Komponistin Kaija Saariaho, die 2019 auf Basis einer Umfrage unter Fachleuten von der BBC zu den 20 „greatest composers“ des Abendlandes gezählt wurde, vom Royal Opera House Covent Garden den Auftrag für eine Uraufführung. Inspiriert von Leonardo da Vincis Das letzte Abendmahl nannte sie das Projekt zunächst Fresco und hatte bereits früh die Idee, dreizehn Figuren mit derselben einschneidenden Situation zu konfrontieren und sie alle ihre eigene Perspektive ausdrücken zu lassen, jede in ihrer eigenen Sprache. In Zusammenarbeit mit der bekannten finnisch-estnischen Schriftstellerin Sofi Oksanen und dem Regisseur, Dramaturgen und Übersetzer Aleksi Barrière entstand das Libretto für Innocence. Die reine kompositorische Arbeit dauerte über drei Jahre.

Die Uraufführung am 03. Juli 2021 im Rahmen des Festivals d’Aix-en-Provence war ein großer Erfolg und die Produktion in der Regie von Simon Stone wurde anschließend in London, Helsinki, Amsterdam und San Francisco gezeigt. Die Dresdner Erstaufführung von Innocence in der Regie von Lorenzo Fioroni ist die dritte Neuproduktion dieser Oper.

 

Das Libretto

Sofi Oksanen verfasste den Text für Innocence (dt. Unschuld) in finnischer Sprache, während Aleksi Barrière teilweise mit der Unterstützung von Muttersprachler*innen den Text in die anderen acht Sprachen übersetzte. Die Handlung entfaltet sich auf zwei Erzählebenen: Zum einen die Hochzeitsfeier von Stela und Tuomas mit seinen Eltern und dem Priester, zum anderen berichten sechs ehemalige Schüler*innen und eine Lehrerin von den traumatischen Auswirkungen eines Amoklaufs an einer internationalen Schule zehn Jahre zuvor. Dabei werden Schicht für Schicht die Verstrickungen der Figuren offengelegt und dennoch bleibt die Frage nach der (Un-)Schuld jedes Einzelnen offen. Eine wichtige Entscheidung der Autor*innen war, die physische Gewalt – die Schießerei und sogar den Schützen selbst – aus dem Text und der Musik auszuschließen und stattdessen die Auswirkungen auf die Betroffenen und auf die Gesellschaft ins Zentrum zu stellen. 


Die Musik

Kaija Saariaho setzte sich intensiv mit der Intonation und dem Rhythmus der verschiedenen Sprachen auseinander und schuf für jede Figur ein eigenes musikalisches Material. Hinzu kommt, dass sowohl Schauspieler*innen als auch Sänger*innen beteiligt sind und das Spektrum vom gesprochenen Wort über Sprechgesang bis zum Operngesang reicht. Für die Rolle der Markéta griff sie auf Elemente der traditionellen finnischen und karelischen Folk Music zurück. Durch ungewöhnliche Spieltechniken und die Erweiterung des Orchesters um Klavier, Harfe, Celesta und Schlagzeug entstehen poetische Klanglandschaften – mal zart und filigran, mal ausdrucksstark, fast brutal, aber immer eindringlich und berührend.

 

Die Inszenierung

Der Regisseur Lorenzo Fioroni und sein Team beschäftigten sich in der Vorbereitung sehr intensiv mit der Thematik des Amoklaufs und seiner medialen Darstellung, der (kollektiven) Schuld, des Traumas, aber auch der Geschichte Finnlands und der finnischen Mythologie. Inspiriert von der Musik Saariahos entwickelten sie eine abstrakt-surrealistische Schneelandschaft, die das Innere der Figuren sichtbar macht: Alles ist erstarrt, eingefroren, zugedeckt und erst allmählich wird das Verdeckte enthüllt. Die Ebene der traumatisierten Überlebenden drängt sich unaufhaltsam in die Haupthandlung der Hochzeit hinein, die dadurch aus dem scheinbar klar definierten bürgerlichen Rahmen gesprengt wird.

Das Magazin Oper! schreibt in seiner neuesten Ausgabe: „...(es) kristallisiert sich für Publikum und Presse immer mehr heraus: Die im Sommer 2021 in Aix-en-Provence uraufgeführte Schulattentats-Aufarbeitungs-Oper Innocence der 2023 verstorbenen Finnin Kaija Saariaho ist ein Meisterwerk der Sonderklasse.“


Kaija Saariaho
Innocence

Premiere am 15. März, 19 Uhr

Musikalische Leitung: Maxime Pascal
Inszenierung: Lorenzo Fioroni


Mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Semperoper – Förderstiftung
semperoper.de

©Sebastian Hoppe

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