Im Interview mit
Peter Theiler
Stiftungsgespräch
Das Stiftungsgespräch mit dem scheidenden Intendanten der Semperoper Dresden
Das Ende der laufenden Spielzeit markiert einen Wechsel in der Künstlerischen Leitung der Sächsischen Staatsoper Dresden: Ende Juli 2024 übergeben Sie, Herr Peter Theiler, nach sechsjähriger Amtszeit die Verantwortung für die Semperoper Dresden an Ihre Nachfolgerin Nora Schmid. Insgesamt waren 60 Premieren, davon allein drei Opern-Uraufführungen, im Semperbau von 2018 bis heute zu erleben. Wenn Sie zurückblicken auf die vergangenen sechs Jahre: Welche Momente an »Ihrem« Haus werden Ihnen besonders in Erinnerung bleiben und welche würden Sie eher zuletzt nennen?
Die Semperoper ist ein Haus, das auf der großen Tradition deutscher Romantik aufbaut, auf Carl Maria von Weber, Richard Wagner und Richard Strauss, die alle an der Dresdner Oper tätig waren. Daneben war das Haus aber auch unter dem Generalmusikdirektor Fritz Busch eine Keimzelle der weltweiten Verdi-Renaissance. In Dresden wurden sehr früh Werke von Bellini oder Meyerbeer aufgeführt, die dann im 20. Jahrhundert wieder vergessen wurden, weil der Schwerpunkt auf Werke andere Komponisten gelegt wurde.
Daraus ergaben sich für mich einige logische Ableitungen zur Repertoire-Erweiterung. Generell versuche ich, meine künstlerische Tätigkeit im Kontext unserer Gegenwart zu denken. Für mich sind Theater und Musiktheater nicht Formate, die ausschließlich der Unterhaltung dienen dürfen. So muss auch die Oper stets eine Aussage treffen und Position zum Zeitgeschehen beziehen. Mir war es wichtig, mit „Die andere Frau“ von Torsten Rasch und „Die Jüdin von Toledo“ von Detlev Glanert Kompositionsaufträge zu vergeben, um Oper neu, aktuell und zeitgemäß zu denken – denn Kunst ist meiner Auffassung nach immer politisch. Mit der dritten Uraufführung unter meiner Intendanz, der KI-Oper „Chasing Waterfalls“ mit dem Künstlerkollektiv phase 7 performing.arts Berlin als ein echtes Novum, haben wir ganz neue ästhetische Sichtweisen auf die Oper als künstlerisches Ausdrucksmittel eröffnet.
Sie fragen nach besonderen Momenten? Es gab viele davon in diesen sechs Jahren. Jede Neuproduktion ist eine Herausforderung, manche Regisseur*innen kamen zum wiederholten Male nach Dresden, kannten das Haus und das Haus kannte sie. Andere stellten sich erstmalig vor, brachten neue Impulse, andere Lesarten, frische Inspiration. Das alles ist nur im Team zu realisieren, zu dem jedes einzelne Gewerk, jede Kollegin und Kollege, jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter gehören.
Ich freue mich, unter anderem mit Regiearbeiten von Marie-Eve Signeyrole mit einer grandiosen „Turandot“, von Laura Scozzi mit der nahezu Neuentdeckung von „Il viaggio a Reims“ und mit Peter Konwitschnys „Norma“ und „Les Huguenots“ spannende und wunderbare Produktionen verwirklicht zu haben. Aber auch Calixto Bieito, Johan Inger, Andreas Dresen und Rolando Villazón – mit seinem hinreißenden „L’Orfeo“ – konnten wir an der Semperoper begrüßen, um nur einige weitere zu nennen.
Jedes einzelne Stück, sei es im Semperbau, auf Semper Zwei oder die Produktionen für unser Format „OperMobil“, war mir gleich wichtig. Getragen von unserer „Wunderharfe“, der Sächsischen Staatskapelle Dresden als verlässlichen Partner, gab es sowohl im Ballett, in der Oper als auch im Rahmen unserer Education-Produktionen unzählige unvergessliche künstlerische Momente zu erleben, für die ich mich von Herzen bei meinem gesamten Team bedanken möchte.
Ihre Amtszeit war auch begleitet von Krisen-Ereignissen, die sowohl die gesellschaftspolitische als auch die kulturelle Situation nicht nur in Sachsen – ja, man darf sagen – weltweit beeinflusst haben. Haben Sie diese Erfahrungen entmutigt oder sahen Sie darin eher eine Herausforderung?
Corona und die damit verbundenen Einschnitte haben uns alle herausgefordert, aber es hat das Haus auch auf eine ganz besondere Art zusammengeschweißt. Gemeinsam mussten die tagesaktuellen Probleme bewältigt, Lösungen gesucht, geplant und wieder neu disponiert werden. Was eben noch zu bewerkstelligen schien, konnte am nächsten Tag bereits wieder unmöglich sein. Ob Technische Direktion, Ballettdirektion, Betriebs- oder Orchesterdirektion, Dramaturgie oder Staatsopernchor und die großartigen Künstlerinnen und Künstler: Alle haben ihr Mögliches dazu beigetragen, die Situationen wunderbar zu meistern. Es war für uns alle in diesen Monaten wichtig, den Mut nicht zu verlieren, nach vorne zu schauen und sich den Anforderungen bestmöglich zu stellen. Jeder schweren Zeit wohnt auch eine Erfahrung inne. Corona hat uns gelehrt, demütig zu sein, uns auf unsere Wurzeln zu besinnen und sich erneut daran zu erinnern, dass eine Krise nur gemeinsam bewältigt werden kann.
In den letzten beiden Spielzeiten konnten wir wieder nach und nach unser Publikum in vollem Umfang zurück in der Semperoper begrüßen. Und ich freue mich sehr, nun mit Auslastungszahlen zwischen 90 % und 95 % meiner Nachfolgerin Nora Schmid ein gut bestelltes Haus übergeben zu können.
Herr Theiler, Sie waren insgesamt 28 Jahre lang als Intendant verantwortlich für das Geschick verschiedener Häuser. Gibt es Ihrer Meinung und Erfahrung nach ein Erfolgsrezept für die „Berufung“ zur Intendanz?
Ein allgemeingültiges Erfolgsrezept gibt es wohl nicht, aber mein Weg hat mich vom kleinen Städtebundtheater in der Schweiz über ein kommunales Musiktheater zum größten Mehrspartentheater Bayerns und schließlich zur Sächsischen Staatsoper mit diesem wunderbaren Opernhaus geführt.
Ich kenne das Metier von Grund auf – sowohl von der organisatorischen als auch von der künstlerischen Seite, das ist natürlich ein großer Vorteil. In einem kleinen Theater arbeitet man wesentlich enger und direkter mit den verschiedenen Gewerken zusammen, als in so einer großen Kulturinstitution wie dieser. Aber die Abläufe und Strukturen sind sehr ähnlich. Es ist wichtig zu wissen, wie ein Haus „funktioniert“. Und man sollte auf die Menschen, die dafür arbeiten, zugehen und mit ihnen gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten. Als Intendant vertritt man das Haus nach außen und innen. Es gilt, künstlerische Inhalte konzeptionell darzustellen, den Trägern den großen dramaturgischen Bogen zu vermitteln und die jeweilige Stadtgesellschaft kennenzulernen und einzubinden.
Die Anforderungen haben sich in den letzten Jahrzehnten nicht nur geändert, sondern ständig weiterentwickelt; denken wir nur an den so wichtigen Verhaltenskodex, der an vielen Häusern – so auch an den Sächsischen Staatstheatern – bereits implementiert ist. Es ist eine Zeit des kulturpolitischen Umbruchs, in der man flexibel agieren muss, um das große Ganze nicht aus dem Blick zu verlieren.
Die Oper BENVENUTO CELLINI von Hector Berlioz wird die letzte Neuproduktion Ihrer Dresdner Intendanz sein. Welche Bedeutung hat dieses Werk für Sie?
„Benvenuto Cellini“ ist eine meiner Lieblingsopern, die vor über 90 Jahren das letzte Mal in Dresden aufgeführt wurde. Die sehr anspruchsvolle Partitur ist bekannt für ihre außergewöhnliche Orchestrierung mit hohen Anforderungen, die sie an die Solistinnen und Solisten und vor allem auch den Chor stellt. Es ist eine fulminante und furiose Künstleroper, die in ihrer Komik und Tragik gleichermaßen fasziniert. In dieser Oper muss ein Künstlergenie für das ultimative Kunstwerk alle seine bisher kreierten Werke einschmelzen, um daraus seinen Schaffenshöhepunkt hervorzubringen. Barbora Horáková findet mit ihrem Regieteam in dieser vierten Regiearbeit an der Semperoper Chiffren, um die Geschichte dieses Ausnahmekünstlers neu zu erzählen und ins Jetzt zu transportieren. Was könnte am Ende einer Amtszeit besser anstehen, als dieses fulminante Werk über einen alternativen Lebensentwurf mit meisterhafter Musik, scharfem Witz und großer Kunst auf die Bühne zu bringen?
